Kaffee und Kuchen, kalter Wind vom Nordatlantik her und eine dunkle Ahnung, dass hier Böses geschehen ist – Nachmittage in einem einstigen Kinderheim am Ende der Welt.
Text und Fotos: Frank Keil
I Um 15 Uhr gab es vorne im Haupthaus Kaffee und Kuchen. Der Kuchen war selbstgebacken, der Kaffee stand schwarz und heiss in einer Glaskanne auf einer Wärmeplatte bereit, man konnte sich nachfüllen so viel man wollte. Dann sass ich da, fast immer allein, an einem Tisch mit vier Stühlen. Hierhin verirrte sich selten jemand, ich ass sehr langsam den Kuchen, damit die Zeit verging, schaute aus dem Fenster, schaute in den Regen, schaute auf den Nebel, der vom Nordatlantik her in Schlieren aufzog, sich für Stunden festsetzte und in dem sich die Schafe verloren. Es war Mitte August, manchmal schien kurz die Sonne.
Ich hatte zuvor ein Stipendium erhalten, das mich zu nichts verpflichtete. Es war eine Menge Geld, das mir überwiesen wurde; und mir war nach einer langen Reise, nicht nach Urlaub, nicht nach Erholung, am Strand herumlümmeln, vage Leute kennenlernen und mit ihnen warten, bis es Abend wird und man ein wenig überdreht ist. An meine Zimmertür in der WG in Hamburg hatte eine meiner Mitbewohnerinnen stattdessen mit Tesa einen Zettel befestigt: «Island sehen und sterben.» Ich nahm die Herausforderung an und besorgte mir zwei Fährtickets. Kaufte mir einen Rucksack und einen neuen Schlafsack und einen Reiseführer. Ich kannte ihn bald auswendig.
Einmal begegnete ich in Island dann der Ministerpräsidentin, im Südosten war das, oberhalb der Ringstrasse. Sie wollte an einem Gottesdienst in einer kleinen Holzkirche teilnehmen, war aus ihrem Auto gestiegen, so selbstverständlich, als würde sie gleich um die Ecke wohnen und nicht in ihrer Villa in der Hauptstadt; zwei Fotografen folgten ihr in gebückter Haltung, sie wollten sie nicht stören, sie wollten sich nicht aufdrängen, sie wollten aber auch gute Bilder machen. Ein andermal schloss ich mich zwei Krankenschwestern an, die in Tübingen an der Uni-Klinik in der Plastischen Chirurgie arbeiteten und die mir erzählten, wie beglückend es sei, wenn Krebspatienten oder Verunfallte sich langsam trauen würden, sich wieder im Spiegel anzuschauen; der Überlandbus hatte am Fuss des im Dunst liegenden Vatnajökull gehalten, dem Vulkan, verschlossen unter einem Gletscher. Wir waren ein paar Schritte gegangen, hatten zugesehen, wie sich einzelne Stücke vom Gletschereis lösten und je für sich in aller Ruhe unter der Autobrücke hindurch aufs Meer hinaustrieben, sich dabei um sich selbst drehten, als hätten sie Spass, bis der Fahrer kurz hupte, die Zigarette ausdrückte, den Motor startete und es also weiterging. Danach, noch in den Ostfjorden, war ich bis ans Ende eines Fjords gewandert, bis an die äusserste Spitze, hatte über das unter mir schwappende, schwarze Meer geschaut, bis dorthin, wo in der Ferne Europa sein musste und wo ich eines Tages wieder sein würde, es war der Tag vor der Mittsommerwende, es würde nicht dunkel werden, ich konnte mir mit dem Rückmarsch Zeit lassen, es kam auf nichts an. Und in der Hauptstadt hatte ich bei der Heilsarmee übernachtet, in einem durchgelegenen Etagenbett. Das Heilsarmeeheim war für Isländer gedacht, die fernab auf dem Land lebten und die nun etwas erledigen mussten, einen Behördengang, eine Gerichtsverhandlung, eine ambulante Operation, an den Augen, an den Fussen, vielleicht eine Magenspiegelung, die aber kein Geld hatten, um sich dafür eigens ein Hotelzimmer in der Nähe des Busterminals zu nehmen, und die mich nicht unfreundlich, aber verlegen beobachteten, diesen fremden Gast mit seinem Rucksack mit den vielen Gurten und in neuen Wanderschuhen, die nur noch wenig scheuerten.
Und nun war ich in den Westfjorden angekommen, im äussersten Nordwesten, nach einer zwanzig-stündigen Fahrt über am Ende kaum noch befestigte Schotterpisten, vorbei an aufgegebenen Höfen, die sich grau geworden in der farblosen Landschaft wegduckten, abgeschiedener ging es nicht. Ich war der Einzige, der ausstieg. Man sah mir nach. Breidavik hiess der Ort, drei aneinandergefügte Häuser in einer Talsenke; drumherum eingezäunte Weiden, dann letzter Weg, der auslief; dahinter kam nur noch das Meer und dann der Horizont und dann kam nichts mehr. Später erst sollte ich mich darüber wundern, dass ich mich nicht gefragt hatte, ob hier irgendetwas nicht stimmte, als ich vor dem viel zu grossen Gebäude stand, weissgetüncht, fein verputzt, zweistöckig, langgestreckt; vorne lebte der Farmer mit seiner Familie, hinten war die Jugendherberge, die die Familie nebenher betrieb, dazwischen gab es einen verbindenden, flachen Anbau mit Plastikblumen in den Fenstern. «1912» war über der Eingangstür zu lesen. Ich nahm das einzige Einzelzimmer, das mit nur einem Bett, nachdem ich kurz in die anderen Zimmer geschaut hatte, auf die Doppelstockbetten im Halbdunkel. Das Zimmer war hellblau gestrichen, die Tür war von innen mit einem weichen, blumengemusterten Stoff ausgepolstert, an den man sich lehnen konnte.
Ich wollte hier am Ende der Welt Marcel Proust lesen. Sein «Auf der Suche nach der verlorenen Zeit», die blaue Ausgabe, die Suhrkamp-Taschenbücher, deren erster Band so beginnt: «Lange Zeit bin ich früh schlafen gegangen.» Und dann wird erzählt, wie der Erzähler bald davon aufwacht, dass er denkt, es sei an der Zeit zu schlafen, was ihn verwirrt, dass Schlaf und Nichtschlaf so eng beieinander liegen, dass man sich nie gewiss sein kann, wo man sich gerade aufhält und wohin es nun gehen wird, ob man wach ist oder nicht.
So las ich, in dem hellblauen Zimmer, Seite für Seite, ich lag im Bett, hörte von draussen die Raubmöwen kreischen, deren Gelegen man nicht zu nahe kommen sollte, aber manchmal liess sich das nicht vermeiden, wenn ich mich durchs Gelände schlagen wollte, die Gegend erkunden, Felsen erklettern, auch um ans Meer zu gelangen, das ich nachts so intensiv hörte, weil es nie still war. So wie ich mir oft nicht nur Schuhe und Strümpfe, sondern auch die Wanderhose ausziehen musste, um zuweilen bis zu den Oberschenkeln tief im Wasser durch den Fluss zu waten, der vom Hausberg, auf dem noch Reste von Schnee lagen, schlängelnd herabfloss, mal gemächlich, mal reissend, aber immer war das Wasser eiskalt und klar. Und war ich zurück, ass ich etwas, einen Teller aufgekochter Blaubeersuppe, das am allerliebsten, legte ich mich ins Bett und las weiter Proust, oft schlief ich dabei ein. Träumte oder träumte nicht oder wusste nicht, ob ich geträumt hatte. Achtete nur darauf, die Kaffeezeit nicht zu verpassen, um 15 Uhr.
Und ich stand auf, verliess mein Zimmer, ging draussen noch ein paar Schritte, vielleicht hoch zu der kleinen, schneeweissen, verlorenen Kirche, die immer geschlossen war, die Fenster verriegelt; nur im T-Shirt ging ich, als sei ich nun ein Isländer, dem Sturm und Regen und gelegentliche Graupelschauer nichts anhaben konnten, der das kannte, der so aufgewachsen war; setzte mich an den Platz, an den ich mich immer setzte. Die Farmersfrau brachte den Kuchen, viel sprach sie nicht, nur dass das Wetter schlecht sei und besser werde oder heute gut sei und schlechter werde, dann drehte sie sich um und ging wieder in ihre Küche; Choralgesänge waren zu hören, ineinanderfliessendes Gemurmel, manchmal auch zackige klassische Musikstücke, ich goss mir Kaffee ein und dann noch einen Becher, und um 16 Uhr folgten die Nachrichten, die ich nicht verstand und die ich zum Anlass nahm, aufzustehen, Becher und Teller zusammenzustellen, wieder in mein Zimmer zu gehen: so wie Marcel Proust im Bett gelegen hatte, um zu schreiben, legte ich mich ins Bett, um zu lesen, was Marcel Proust damals geschrieben hatte.
II Ich sollte noch einmal nach Breidavik zurückkehren, wenige Jahre später. Es hatte sich einiges getan in meinem Leben, so war ich nicht mehr allein. Nebenbei hatte ich damals auf der Rückreise zum Fährhafen in einem Kiosk überrascht die Titelseite des «Morgunbladdid›» betrachtet: eine dichtgedrängte Menschenmenge war zu sehen, offenbar eine Demonstration; dass «Dýskaland» Deutschland hiess, wusste ich, das Wort «Leipzig» hatte ich entziffern können, ich hatte die junge Frau hinter dem Verkaufstresen gebeten, mir die Schlagzeile zu erklären oder wenigstens die Bildunterschrift, aber sie hatte den Kopf geschüttelt, das könne sie unmöglich übersetzen, «too complicated» sei das, sie würde selbst nicht verstehen, was dort vor sich ging, dann hatte sie mich stehen lassen, sich einfach umgedreht und weiter Flaschen in einen Kühlschrank sortiert (aber das ist noch eine andere Geschichte). Und wir reisten bald zu zweit, nach Dänemark, nach Norwegen, dann nach Island, folgten der Ringstrasse, auch in die Westfjorde sollte es gehen, ich dachte, dass es ihr gefallen würde, hier am Ende der Welt zu sein, mit seinen drei Gebäuden und dem sich anschliessenden, bald sumpfigen Grasland, auf dem wir uns nach der langen Busfahrt noch ausgelaufen hatten, mit weit schlenkernden Armen, was gut tat nach dem vielen, langen Sitzen, nachdem wir uns einquartiert hatten, im Hinterhaus, das ich noch so gut kannte, diesmal in einem Zimmer mit vier Betten, je zwei übereinander gestellt.
Doch am nächsten Morgen, im Taghellen, rollte sie ihren Schlafsack zusammen: Sie wollte hier nicht bleiben, auf keinen Fall, ausgeschlossen. Also an dem Ort schon, das gerne, schön sei es hier, wild und rau, wie es sich für das Land gehöre, aber nicht in diesem Haus, nicht unter seinem Dach übernachten. Irgendetwas stimme nicht mit diesem Haus, sagte sie. Das spüre sie. Mit den Räumen, es sei ihr unheimlich, das Haus, was auch immer es sei, da sei etwas: Sie wolle jedenfalls hier nicht bleiben, wiederholte sie.
Ich war ein wenig vor den Kopf gestossen. Was war an diesem Haus falsch? Was war so seltsam? Es war doch nur ein Haus mit Zimmern im Erdgeschoss und im ersten Stock und einer Küche, die man benutzen konnte, wenn man hinterher wieder alles ordentlich wegräumte. Ein Haus, ein Haus am Ende der Welt, das schon, das ja; ich verstand nicht, was los war und was sie meinte und was in ihr vorging, es war ihr ernst damit. Aber es war auch nicht tragisch. Und wir schlugen draussen unser Zelt auf, auf einem Stück Rollrasen, und ich genoss es schliesslich, dass diesmal nur ein dünnes Stück Zeltstoff mich vom Himmel über Island trennte, auf das nachts leise der Regen fiel, beharrlich und sachte, als würde jemand mit den Fingerspitzen auf dem Stoff trommeln, bis ich bald wieder einschlief; so verbrachten wir ein paar Tage hier, im Schatten des Hauses mit seinen vielen leeren Zimmern und den vielen Fenstern, aus denen niemand schaute und das sich nicht darum zu kümmern schien, dass wir nicht in ihm übernachten wollten.
Wir unternahmen Ausflüge, wir streiften durchs Gelände, scheuchten die Schafe auf, die sich in kleinen Mulden vor dem oft kalten Wind zu schützen suchten, ich erkannte vieles wieder, auch die Gräber. Wir wanderten einen Tag lang zum nächsten Vogelfelsen, an dessen Kante liegend wir hunderte Meter hinab in die Tiefe schauten, wir fotografierten einen Dia-Film mit den sich herabstürzenden Papageientauchern voll und spulten ihn zur Sicherheit noch vor Ort zurück. Und wenn uns danach war, gingen wir um 15 Uhr Kaffee trinken, sassen nun zu zweit in der leicht überheizten Stube, in der die Farmersfamilie jeden Morgen frühstückte, draussen fuhr der Farmer Heu ein, gepresst in weisse Folie, seine Söhne halfen ihm, so vergingen die Tage. Und als der Fernbus wieder vorbeikam, hatten wir unser kleines, grünes Zelt, das wir wegen seiner langgezogenen Form «die Napoleonsmütze» nannten, abgebaut und fachgerecht zusammengerollt, wir stiegen dazu und setzten unsere Reise nordwärts fort, so wie ich damals meine Reise fortgesetzt hatte, als ich noch allein war, was ich nun nicht mehr war und was so geblieben ist.
III Doch meine Geschichte mit diesem entlegenen Ort ist noch nicht zu Ende. Sie geht noch weiter, sie klärt sich auf, nur dass ich diesmal dafür nicht verreisen muss. Nur das Licht ging aus, wurde langsam weggedimmt, der Vorhang wurde zu beiden Seiten zurückgezogen, auf der Leinwand wird es hell. In Buchstaben erscheint der Schriftzug «AT THE EDGE OF THE WORLD – a brutal icelandic story», Flammen sind zu sehen, die in die Höhe züngeln, die Musik setzt dröhnend ein und nimmt keine Rücksicht. Und ich bin wieder in Breidavik, ich sehe die aneinandergefügten drei Häuser wie aus einem Hubschrauber, ich sehe die Zahl «1912», als hätte noch eben jemand die Hin-und-Herrollen, ist es am Arbeiten. Kinder laufen über die Leinwand, die Bilder sind rissig, sie sind körnig und immer wieder verwackelt; eingestreute Filmschnipsel aus sichtbar vergangenen Zeiten, die immer wieder abreissen, zuweilen zu hell werden und dann ins Grelle kippen, als würde jemand schreien. Und ein Mann schleppt sich auf Krücken über ein Steinfeld, im Hintergrund erhebt sich die kleine Breidaviker Kirche, die ich nie betreten habe, der Wind weht böig durchs Gras, er habe nicht gewusst, wo er hier sei, erzählt der Mann, nun an eine Wand gelehnt, damals, als man ihn hier als Kind herschaffte, zu den anderen Jungen, sie würden auf eine Pferdefarm kommen, gleich nebenan sei noch dazu ein Vergnügungspark, hatte man ihnen versprochen, beim Gespräch mit dem Psychiater in der Hauptstadt, was hätten sie sich gefreut, und am Abend des nächsten Tages waren sie hier, wurde ihnen ein Bett zugewiesen, für lange, lange Zeit. Und sie schauen an der Kamera vorbei, die Männer, die einige der Kinder sind, die hier waren, auf den Filmschnipseln und die nun in ihren Wohnzimmern sitzen, die befragt werden, erwachsen und alt geworden; wie sie verprügelt wurden, immer und immer wieder, für Nichtigkeiten, erzählen sie; erzählen von dem Heimleiter, der einem abends in seiner Heimleiterwohnung so schöne, unheimliche Geschichten erzählen konnte, nachdem er einen vergewaltigt hatte.
Und der Regisseur ist da, er erhebt sich nach dem Abspann, er tritt nach vorne vor die Leinwand, er bedankt sich, dass wir gekommen sind, seinen Film zu sehen, dabei sollten wir uns bedanken, dass er aus Island zu uns nach Deutschland gekommen ist, um seinen Film vorzustellen, extra für diese eine Vorstellung an diesem Freitagvormittag in der Sparte Dokumentarfilm. Aber er nimmt es uns nicht übel, dass niemand gleich eine Frage stellt, wo wir doch jetzt Fragen stellen können, an ihn, zu seinem Film, wie soll man einfach so eine Frage stellen, nach diesem Film und also erzählt er einfach – ihm sei damals bei einem zufälligen Besuch in Bredavik im Keller des Haupthauses die fensterlose Gefängniszelle aufgefallen. Wie mühsam die Finanzierung zu stemmen gewesen sei, das meiste habe er schliesslich erst einmal vorstrecken müssen, erzählt er; auch wie unwillig die Behörden lange waren, ihm Auskünfte zu erteilen, bis er dann doch erste Namen erhielt und er sich ans Telefon setzen konnte, erfahren wir in unseren Kinosesseln. Oder wie er einmal auf dem Rollfeld eines Flugfeldes der nächstgrösseren Stadt im Westen stand, um eines der ehemaligen Heimkinder abzuholen, um sich von ihm in Breidavik vor Ort noch mal alles zeigen zu lassen, und das Flugzeug tauchte am Himmel auf, es landete, es rollte aus, und er war nicht an Bord, und er meldete sich nie wieder. Und ich sitze da, höre ihm zu, entschlossen, mir jedes seiner Worte zu merken und die Bilder nie wieder zu vergessen, die sich über meine Bilder legen, die ich so innig bewahrt hatte, das Haus, das blaue Zimmer, die pochende Heizung, auf der meine nassen Strümpfe im Nu trockneten, mein Blick aus dem Fenster, der sich in der steinigen Ferne verlor, bis die Vorstellung endgültig zu Ende ist und es die Treppen hinunter ins Foyer geht, der Regisseur ist am Telefonieren, er hat seinen Job getan, nun kann er sich verabreden. Auch aus den anderen Kinosälen strömt nun das Publikum, verteilt sich, stellt sich am Kaffee- und Biertresen an, es ist laut, es ist trubelig, wer sich kennt, begrüsst sich, das Festival ist nun im vollen Gange. Und es ist gut, dass ich bald jemanden treffe, der mich fragt, was ich denn eben für einen Film gesehen habe und ich es ihm erzählen kann.
Übergriffe und Misshandlungen im Jungenheim in Breidavik
1952 wurde in Breidavik in den weitgehend entvölkerten Westfjorden ein Heim für so genannte schwererziehbare Jungen eingerichtet. In der Regel wurden sie direkt von der Polizei abgeliefert. 1979 wurde das Heim geschlossen und war für lange Zeit eine Jugendherberge. 2006 wurde im isländischen Fernsehen über Breidavik und die dortigen Misshandlungen und sexuellen Übergriffe an den Jugendlichen berichtet. Der Bericht basierte überwiegend auf Material des Regisseurs und Kameramanns Bergsteinn Björgúlfsson, der seit 2001 zu Breidavik recherchiert hat. Sein Dokumentarfilm «At the Edge of the World» von 2007, der ehemalige Heimkinder wie einstige Heimleiter zu Wort kommen lässt, erhielt eine «Edda», die Auszeichnung für den besten Dokumentarfilm eines Jahres und sorgte dafür, dass die isländische Regierung eine Kommission einsetzt, die die Geschichte Breidaviks untersucht. Bei ihrer Arbeit stiess sie nach und nach auf weitere acht Heime für Kinder und Jugendliche, in denen es gleichfalls zu systematischen Übergriffen und Misshandlungen gekommen war. 2011 veröffentlicht die Kommission ihren 1500 Seiten starken Abschlussbericht, klagt dabei sowohl die isländische Polizei an, aber auch die staatliche Jugendbehörde, die durchaus vorhandenen Beschwerden und Meldungen nie nachging.