Von Adrian Soller, Foto: Luca Bricciotti
Aus dem Alltag des Rösslimetzgers und Concours-Reiters Hanspeter «Hori» Horisberger. Eine Geschichte über das Töten und Trösten.
Er muss nicht einmal in den Rückspiegel blicken, um zu wissen, dass sie ihm nachschauen. Ganz süferli. Guggisbergers sollen sehen, dass die Tiere bei ihm in guten Händen sind. Das isch etz wichtig, weisch. Er atmet einmal tief ein und lässt die verbrauchte Luft dann wieder langsam aus dem Mund strömen. Sein Körper sinkt dabei etwas mehr noch in das Polster des Fahrersitzes. Hori lächelt still und kramt beim Armaturenbrett eine Rössli 7 lang hervor. Durchs Land zu fahren ist für ihn, der sonst nie Ferien macht, wie Ferien. Der Kies knackt und knistert unter den Autoreifen des Pferde-Anhängers. Da si gueti Lüüt, d’Guggisbergers, weisch. Hori zündet seine Zigarre an, nimmt einen Zug und sagt dann, dass er schnell merke, ob jemand gut sei oder eben nicht. Er habe viel Erfahrungen mit Tieren – und mit Menschen. Der 68-jährige Rossmetzger Hanspeter Horisberger, den sie hier alle «Hori» nennen, hat soeben auf dem abgelegenen Hof die zwei Ponys der Familie Guggisberger abgeholt, Linda und Jessy. Er wird sie bald schlachten.
Noch nicht um die Kurve gebogen und im feinädrigen Strassennetz von Flachmatt verschwunden, klingelt Horis Handy. Der Nächste. Sein Sportross wolle nicht mehr. Hori schlachtet 350 bis 400 Rösser im Jahr, und das meistens zusammen mit seinem langjährigen Mitarbeiter Werner, ae guetä cheib. Werner habe einen Sonderstatus bei ihm. Was dae leischtet. Werner sei Vater eines behinderten Kindes, erzählt mir Hori dann, während er auf das vorbeiziehende Wiesengrün schaut. Hori arbeite schon seit zehn Jahren mit ihm zusammen. Zwischen zwei Zügen, i tuä si nöd lüngälä, erzählt Hori weiter: Die meisten Rösser, die Werner und er schlachten, seien, wie die beiden Ponys hinten im Anhänger, krank oder verletzt. Mastpferde gäbe es in der Schweiz kaum. Rössli sind hierzulande eher Haustiere als Fleischlieferanten. Obwohl das Pferdefleisch nur halb so viel Fett und Natrium wie Rindfleisch enthalte. Saaaaalüüüü. Hori streckt seinen linken Arm aus dem offenen Autofenster, um jemandem zuzuwinken.
Hori mag seinen Beruf. Das Metzgen sei ein wunderschönes Handwerk. Ausser dem Töten, das sei ein Scheissjob, gehöre aber dazu. Jemand müsse es ja machen. Immerhin könne er so die Tiere von ihrem Leiden erlösen, sagt Hori, der selbst Concours reitet und darum die meisten Tiere und ihre Halter gut kennt. Wenn Hori weiss, dass ein verletztes oder krankes Ross mit besserer Führung und etwas mehr Geduld wieder auf die Beine hätte kommen können, fällt ihm das Töten aber besonders schwer. Dann kann er am Vorabend schon mal nicht einschlafen. S’tuet mi dänn scho beschäftigä. Er habe sich aber nicht dafür, seinen Kunden etwas zu sagen. Er wolle und könne nicht über Leben und Tod eines Tieres entscheiden. I brings eifach numä guet überä. Fertig.
Der warme Sommerwind bläst durchs offene Fenster in den Innenraum des Fahrzeuges. Bevor Hori auf den Vorplatz des Schlachthofes fahren wird, wo sie Werner mit Brot in der Hand empfangen wird, hält Hori nochmal schnell an, um zu schauen, dass es den beiden Ponys, die er bald töten wird, hinten im Anhänger gut geht. Im hintersten Teil der Burgdorfer Industriezone, verdeckt von der hohen Glasfassade einer Treuhandfirma, scheint die Sonne derweil matt durch die Scheiben des Schlachthofes. Die nassen Fliesen glänzen. Alles ist sauber. Alles ist gut. Die Efa-Motorsäge, mit der Werner bald die Brustkörbe der Ponys aufsägen wird, baumelt an einer Kette von der Decke hinunter. Auch die Metalltonne auf Rollen mit der Aufschrift «Konfiskat K1» steht bereit für die Hufe der beiden Tiere, für ihre Knochen, für Haut und Gedärme.
Es geht dann alles sehr rasch, ruhig und gezielt. Das sei ja auch das Beste für alle, für die Tiere, ihre Halter, aber auch für Werner und Hori. Hori muss nur ein wenig lügen, was er sonst nicht so macht. Chunt guet, chunt aues guet, sagt er zu den Tieren, als er sie aus dem Anhänger führt. Die Brotstücke, die Werner den beiden beim Ausladen in ihre Münder steckt, werden sie nicht mehr hinunterschlucken können. Die dicht beieinander stehenden Tiere führen Werner und Hori nun in den Innenraum des Schlachthofes. Dieses Geräusch. Ein klackendes Hallen. Lindeli reckt den Kopf in die Höhe, blickt sich um. Mattes Fell. Steifer Hals. Ruckartige Bewegungen, das Tier. Bedachte Bewegungen, der Hori. Jo, Schätzli, jo, jo. Die schwarze Mähne. Zittert. Hori streicht sie zärtlich und schaut dem Tier dabei zu, und schon: der Knall, in die Augen. Es war der erste Knall. Jesseli zuckt zusammen. Ihren Kopf hatte Werner vorher noch behutsam aber bestimmt zu sich gezogen, ganz nahe an seinen Körper. Und schon der zweite Knall. Hirntot. Beide. Schlachtkörper 110 und 111.
Ohne eine Pause davor zu machen, hatte Hori die geladene Gaspistole «Blitz» vom Tisch genommen, an die Stirn von Lindeli gesetzt, abgedrückt und wieder abgesetzt, dann die nächste Viehpistole genommen, an Jesselis Stirn gesetzt, abgedrückt und wieder abgesetzt, alles im Fluss, ohne ein Stocken, ohne ein Zögern. Bevor der erste Körper dann mit voller Wucht auf den Boden geknallt war, so als hätte man Seile durchgeschnitten, an denen Sandsäcke gehangen hätten, blieb der Körper kurz in der Luft stehen. Wahrscheinlich hatte das Tier für einen Sekundenbruchteil, und zu schnell für das menschliche Auge, die Beine an seinen Körper gezogen und wieder fallen gelassen. Der Körper ist jedenfalls nicht langsam in sich zusammengesunken, sondern seitlich auf den Boden runtergeknallt, immer seitlich, so wie das ist beim Rössertöten. Das Echo des zweiten Schusses fiel dabei fast mit dem lauten, dumpfen Geräusch des ersten auf den Boden aufschlagenden Körpers zusammen. Die ausgestreckten Beine zittern noch, nu no as chärli. Dann je einen Schnitt am Hals. Hori trennt die beiden Hauptschlagadern. Blut schwemmt aus den kleinen Rosskörpern. Es plätschert wie bei einem Bergbach. Über Jessys Auge liegt nun ein weisser Schleier. Moscht hei sie üs geh, die guetä Guggisbergers.
Während Hori gerade eben noch, auf dem Hof, bei Guggisbergers, den Most trinkt, versucht er Erika Guggisberger zu trösten. Chunt guet, sagt er. Mer mached da, sagt er. Es isch Ziit, sagt er. Auch die Tochter, die Hori zuvor fast zehnmal angerufen hatte, versucht jetzt ihre Mutter zu beruhigen. Ob sie zum Andenken ein bisschen von der Mähne abschneiden solle. Chasch jo – sagt sie und: Wenn d’wotsch. Sie weint ohne Geräusch. Ihre «Rössli». Hori streicht ihr zärtlich über die Schultern. Und nochmals ein «Chunt guet, gell». Erika nickt und sagt, als Hori die beiden Ponys die Laderampe zum Anhänger hochführt, dass sie jetzt ihren letzten Ausflug machen würden, ihren Ausflug in den Himmel. Nur ein bisschen schieben muss Hori, nicht zu viel. Lieber etwas warten. Das brauche manchmal einfach etwas Geduld. Ob sie das Halfter behalten wollten, wird er sie noch fragen und das Geld, das ihm Erika Guggisberger dann in die Hand drücken wird, die 150 Franken, wird Hori nicht nachzählen.
Ae schwierigi Fau war das, wird mir Hori dann im Auto sagen. Für das Geld mache er das hier nicht, das lohne sich doch gar nicht. Abr so isch es im Handu. Auch wenn er an einem Sonntag mal ein verunfalltes Tier notschlachten müsse, lohne sich das finanziell nicht immer. Aber wenn ein Tier leide, gäbe es kein Nein, kein Später. Die beiden Ponys seien für s’Guggisbergers halt wie zwei Familienmitglieder gewesen. Doch nun ging es einfach nicht mehr. Man musste etwas machen. Das eine 23, das andere 30 Jahre alt. Die Hufe hatten sich entzündet. Sie hatten Schmerzen beim Gehen, konnten kaum noch stehen. In die Physiotherapie hätten sie sollen. Das wollte Erika dann aber doch nicht. Sie liebt ihre «Schätzelis» zwar, aber wenn es Zeit ist zu gehen, ist es nun mal Zeit. Vergangenes Jahr ist ihr Mann vom Baum gefallen, tot, und jetzt müssen ihre beiden Ponys gehen. Hori fährt extra langsam vom Hof.
Das Blut dampft auf den Fliesen. Hori, der jetzt einen Blutspritzer auf der Wange hat, geht kurz raus, um mit Guggisbergers zu telefonieren und zu sagen, dass alles gut gegangen sei. Werner spiesst das Tier währenddessen im ersten Versuch am Kiefer auf und betätigt die Seilwinde, um den Schlachtkörper nach oben zu ziehen. Als Hori wieder zurückkommt, Guggisbergers hätten es geschätzt, baumelt der erste tote Tierkörper schon von der Decke. Und dann ist sie plötzlich da, auch wenn für ein paar wenige Augenblicke nur, diese beschämende Schönheit, die Ästhetik des Schlachtens. Sie macht mich zum Zuschauer und Horis und Werner Arbeit zum Werk. Wie ein Stück von Pina Bausch. Die beiden drehen sich in stiller Choreografie um das tote Tier. Sie lassen ihre Messer wortlos durchs Fleisch gleiten. Ihre Bewegungen folgen dabei einem unausgesprochenen Plan. Keine Bewegung ist unnötig, keine zu viel. Werner dreht sein Messer in der Hand, indem er seinen Griff ein wenig löst und mit der wellenartigen Bewegung seines Armes den Drehimpuls gibt. Hori macht zwei Schritte nach links, atmet aus. Werner macht zwei Schritte nach rechts, atmet aus. Ein Schnitt. Und Schritt. Und Schnitt. Und Schritt. Und Schritt. Und Schritt. Und Schnitt. Cheib. Siech. Ein Knochen will partout nicht brechen.
Das Metzgerhandwerk hat Hori schon sehr früh gelernt. Schon als kleiner Junge, er konnte noch nicht einmal sprechen, ist er jeweils mit dem Baby-Rutscher zu Papa in den Schlachthof gefahren. Und mit acht, vielleicht neun Jahren bekam er dann sein erstes Messer auf den Geburtstag geschenkt, mit dem er am Schlachtkörper «rumfiguretlä» konnte. Nach seiner Lehre, 1966 in der Grossschlachterei Gerber, sei er dann erst mal nach Paris arbeiten gegangen. Das sei dann industrielle Massenschlachterei gewesen dort und keine Einzelabfertigungen wie hier. Kei wa? E-i-n-z-e-l-a-b-f-e-r-t-i-g-u-n-g-ä. Eine Seilwinde zieht kreischend die Haut vom Schlachtkörper ab. Um das Auge ist jetzt nacktes Muskelfleisch zu sehen. Hori beschriftet das Stück mit schwarzem Stift. 110. Da isch dae Motor, sagt Hori dann, hält Lindas Herz in die Höhe, und der dicke Schlauch da unten, auf dem Boden, das sei die Luftröhre. Die Därme, die nun auf den Boden klatschen, werden sich noch ein Weilchen bewegen, als hätten sie das Verdauen noch nicht ganz aufgegeben.
Lue do, d’Rösslitüscheler. Der Mitarbeiter von der am Schlachthof angebauten Tiersammelstelle, dae vo dä Stadt, kommt herein und steuert auf die Toilette zu. Wötsch du ihm eis chlöpfä? Wenn Hori jemanden mag, im Grossen und Ganzen wenigstens, droht er ihm schnell mal mit Schlägen oder sagt ihm schon mal dummä cheib oder gar Arschloch. Wenn Hori jemanden nicht mag, sagt er nichts mehr. Als «der Beamte», wie sie ihn auch nennen, vom WC zurückkommt, hält Hori gerade den Wasserschlauch in der Hand, um Scheisse und Blut vom Flur zu spülen. Hori spritzt den Stadtmitarbeiter ab, ohne Kommentar und erst auch ohne sein bübisches Lachen, das bei Hori immer erst nach einem seiner Streiche einsetzt. Werner steigt sofort mit ein. Saucheibä. Eine Wasserschlacht, viel Gelächter. Bald werden sie ihre Kleider auswringen. Morn het dae Gripp, muesch luege. So ae Jammeri. Hori, ganz und gar kein Jammerlappen, will noch lange voll arbeiten. Erst mit Achtzig wolle er auf achtzig Stellenprozent runter, sagt er jeweils, lacht, nicht laut, aber doch so, dass es einen ansteckt.
Hori boxt mit der Faust in das Fleisch und beginnt noch, die Kleider tropfen noch immer ein wenig, Geschichten von früher zu erzählen. Wenn jemand nicht pariert hätte, habe es schon mal «eis klöpft». Nicht selten sei dann die Polizei gekommen, aber die habe sich bei ihm dann meistens noch bedankt dafür, gesagt, dass das schon gut sei so, wie er das mache und dass sie froh seien, dass er es gemacht habe, dann müssten sie nicht. Hori kennt man in Burgdorf. Ob Pfarrer, Lehrer oder Schreiner: Jeder kauft sein Rossfleisch bei ihm. Mit jedem «philosophierä» er gerne übers Leben, über den Tod. Seine Frau ist vor 16 Jahren gestorben. Er lebt jetzt aber mit seiner Partnerin zusammen, erzählt er, während er ab und an Innereien in die Tonne schmeisst. Und wer ihn danach fragt, dem sagt er es: Die Tiere haben eine Seele. Ohne Zweifel. Ein Frömmler sei er zwar nicht, der Hori, gar nicht, aber dass Mensch und Tier eine Seele hätten, das sei ihm klar. Dann trennt Hori mit einem Schnitt den Kopf vom Körper des zweiten Tieres. Der Körper klatscht zu Boden. Den Kopf wirft Werner in die Tonne. Dass «dä vo Stadt» auch mal wieder etwas zu tun habe. Dann klingelt das Telefon, und Hori muss bald wieder los. Eine Stute.
Für das Geld mache er das hier nicht, das lohne sich doch gar nicht. Ein Frömmler sei er zwar nicht, der Hori, gar nicht, aber dass Mensch und Tier eine Seele hätten, das sei ihm klar.